Stimme der
Orthodoxie

Internetversion der Zeitschrift "Stimme der Orthodoxie" der Russischen Orthodoxen Diözese Deutschlands des Moskauer Patriarchats

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Stimme der Orthodoxie, 1/1997 und 3/1997.

Erzpriester Sergius Taurit, "Zeuge russischer Kultur und Frömmigkeit in der Fremde. Kleine Geschichte der Berliner russischen orthodoxen Gemeinde"

Teil I:

1. Die Zeit des Werdens.

2. Die Zeit der Wirren.

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1. Die Zeit des Werdens.

Die erste Periode in der Entwicklung russischer orthodoxer Gemeinden außerhalb der russischen Grenzen reicht von der Mitte des 17 Jahrhunderts bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges, während die zweite Periode den Zeitraum von 1914/18 bis zur Jetztzeit umfaßt.

Nach orthodoxem Verständnis sollten alle orthodoxen Kirchen und Gemeinden, die sich außerhalb der Territorien der einzelnen Patriarchate befinden, der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchen unterstehen.

Bedrängnis seitens des türkischen Staates jedoch bewog den Patriarchen von Konstantinopel, in vielen Fällen von der strikten Einhaltung dieser Ordnung abzusehen, ohne daß im Prinzip diese Ordnung angefochten wurde.

Für die erste Zeit des Entstehens russischer Kirchenvertretungen im westeuropäischen Raum war diese Frage nicht von ausschlaggebender Bedeutung, da in den meisten Fällen die ins Ausland gesandten Priester bestimmten Gesandten zur persönlichen Verfügung standen. Hierdurch wurden Territorialrechte nicht berührt. Ab 1867 unterstanden alle Vertretungen der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland der Jurisdiktion des jeweiligen Metropoliten von St.Petersburg und Nowgorod. Da die zivilrechtlichen Belange aber dem Außenministerium des Zarenreiches zur Entscheidung anstanden, ergab ?sich für alle Fragen der administrativen Gestaltung der Vertretungen eine enge Verknüpfung von Oberster Kirchenleitung und Außenministerium.

Am Ende der ersten Periode unterstanden der Jurisdiktion des Metropoliten von St. Petersburg und Nowgorod dreißig Kirchen an Badeorten, zweiundzwanzig Kirchen in oder bei Gesandtschaften, zwölf in Privathäusern, acht Grabkirchen und weitere sieben Kirchen, die auf Grund des Wirkens der St. Wladimir Bruderschaft zu Berlin finanziert worden waren. Zur unmittelbaren Leitung dieser Kirchen und Gemeinden wurde 1907 der Priester Wladimir (Putjata) zum Vikarbischof geweiht. Er trug fortan den Titel eines Bischofs von Kronstadt und Vikars für Westeuropa. Er unterstand dem Metropoliten von St.Petersburg und residierte in Rom, wo er vor seiner Bischofsweihe als Gesandtschaftsgeistlicher tätig gewesen war. Zu seiner Jurisdiktion zählten jedoch nicht all jene orthodoxen Geistlichen und Gemeinden, die dem ökumenischen Patriarchat, bzw. der autokephalen Griechischen Kirche unterstanden.

Zum Territorium dieses "Westeuropa" gehörten von Schweden bis Italien, von Polen bis Frankreich und England alle europäischen Länder, die nicht eigene orthodoxe Kirchenleitungen besaßen. Die erste russische Kirche im Ausland entstand zum Beginn des 17. Jahrhunderts in Stockholm. Sie war eingerichtet worden im russischen Handelshaus Ryssgarden. Im 1651 wird von einer russischen orthodoxen Gottesdienststätte in Königsberg berichtet. Und nochmals vergingen fast fünfzig Jahre, bis auch in Berlin eine russische orthodoxe Kapelle entstehen konnte. Auf Geheiß des Zaren Peter I. (1672-1725), wurde dem Gesandten, Minister Graf Aleksander Gawrilowitsch Glowkin (1688-1760), Priester Gerasim "zur persönlichen Verfügung" beigegeben. Dieser Priester erhielt Ausnahmegenehmigung, die Gottesdienste mit einer tragbaren Ikonostase zu gestalten.

Die Zuo?rdnung vieler Geistlicher zu den jeweiligen Gesandten des Zarenreiches bedingte oft eine kurze Verweildauer derselben in Berlin. Im Unterschied zur Lage des Klerus in der Heimat waren die russischen Geistlichen als Botschaftsangehörige finanziell gut versorgt, auch wenn eine feste Besoldung erst ab 1773 nachweisbar wird. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Angaben nur sehr ungenau zu überprüfen. Die transportable Kircheneinrichtung wurde 1746 nach London gebracht.

Erst 1764 gelangte aus Holland eine neue Kircheneinrichtung nach Berlin. Diese baute man im für die Gottesdienste bestimmten Raum des Gesandtschaftsgebäudes in der Wilhelmstraße ein. Die so entstehende Kirche wurde dem Gedenken des hl. apostelgleichen Fürsten Wladimir gewidmet, während die ältere Kirche der "Darstellung des Herrn" geweiht war.

Wir haben keine Nachrichten darüber, ob mit den Geistlichen auch Sänger oder wenigstens Psalmisten regelmäßig in Berlin anwesend gewesen sind. In wenigen Fällen sind uns Nachrichten über die diesbezüglichen Sorgen überliefert worden. Als 1773 der bisherige Diakon an der St. Petersburger Andreas Kathedrale, Trifon Timofejewitsch Kedrin zum neuen Priester an die Berliner Gesandtschaft berufen wird, findet er den Psalmisten und Kamonarchen Trofim Nikiforowitsch Mukowosow krank darniederliegen, während dessen Vertreter, der aus Kiew stammende Theologiestudent Timofej Andrejew sich auf seine Rückkehr in die Heimat (1777) vorbereitet. Zwei neue Kräfte werden bestimmt - Konstantin Jakowlewitsch Subarow und der Medizinstudent Stepan Iwanowitsch Maljusin. Auf dem Wege nach Berlin verlieren sie all ihre Habe. Ihre Bitten, den Verlust zu ersetzen, bzw. für notwendige Sprachstudien eine Unterstützung zu gewähren, werden abgelehnt. Als drei Jahre danach Subarow schon stirbt, muß der Gesandtschaftsangestellte Iwan Posharski dessen Aufgaben übernehmen. Offens?ichtlich hatte sich zu jener Zeit die Gesamtlage ungünstig gestaltet. Auch die einst gute Bezahlung wurde stark gekürzt. Anstelle der 150 Rubel, welche Subarow noch allein erhielt, bekamen nunmehr beide Leser und Sänger zusammen nur 200 Rubel im Jahr.

Vater Trifon starb am 2.Juli 1782 in Berlin. Von seiner Berufung an verfügen wir über recht genaue Datenangaben. Der Metropolit von Nowgorod und St.Petersburg ernannte zum Nachfolger den Theologie-studenten Gawriil Semenowitsch Dankow, dessen Amtszeit hier fünfzehn Jahre währte. Anschließend verließ er Berlin, um in Dresden zu dienen, ehe er am 17. Januar 1800 an den Hof der Erbprinzessin Elena Pawlowna berufen wurde.

Für die erfolgreiche Erfüllung der liturgischen, aber auch der seelsorgerlichen Aufgaben bedarf es in der orthodoxen Kirche der entsprechenden Chor- und Psalmistenarbeit. Dieses Problem wurde in dem Maße dringender, als durch den Gottesdienst selbst die Kirche zur Umgebung zu sprechen begann. Hier lag auch der Grund für die einsetzende Übersetzungstätigkeit, die gleichzeitig die musikalische Interpretation, wie sie in der russischen Heimat organisch gewachsen war, zu übernehmen trachtete. Es war nicht der Missionsgedanke, der zur Offenlegung aller kirchlichen Traditionen führte, sondern vielmehr die Erkenntnis, daß der Reichtum der in der Orthodoxen Kirche unvermittelt angebotenen Liturgik und Ikonographie einer sprachlichen Brücke bedarf, um auch hier in aller Fülle erklingen zu können. Der zelebrierende Priester bedarf der antwortenden Gemeinde. Die Stimme einer Gemeinde ist der Chor, der gleichzeitig die Fülle der dogmatischen Lehraussagen der heiligen Kirche mitträgt.

In dem Maße, in welchem die Kirche nicht nur für den privaten Anspruch eines oder einiger weniger Menschen zuständig blieb, sondern immer größere Kreise der Interessie?rten anzusprechen hatte, in dem Maße mußte sie auch Sorge tragen, daß ihre vielstimmige Artikulation im Gottesdienst möglich wurde. So nur ist zu verstehen, daß die Geistlichen dafür Sorge trugen, auch genügend erfahrene Psalmisten und Sänger für ihre Gottesdienste heranzuziehen. Diese Aufgabe ist bis zum heutigen Tage entscheidend geblieben. Auf dieser Ebene vollzieht sich auch der natürliche Übergang von einer allein aus der russischen Heimat gebotenen Gebetsform zu der von deutschen Orthodoxen gestalteten liturgischen Realität.

Nach Vater Gawriil kam aus Dresden Vater Johann Borisowitsch Tschudowski, doch allein auf allerhöchsten Befehl Ihrer Kaiserlichen Hoheit, der Kaiserlichen Hoheit Großfürstin Anna Feodorowna von Coburg zu dienen. Diesem Geistlichen gelang es, mit Unterstützung des Gesandten Alexej Iwanowitsch Kridener (Burchard Lexius Konstantin von Krüdener), seinen Sohn Nikita auf die seit dem Tode des Kirchendieners Andrej Janowskij verwaiste Stelle zu bekommen. Die finanzielle Situation hatte sich wieder gebessert. Der Priester erhielt 700 Rubel, der Sohn und die anderen Angestellten zusammen 200 Ruhel, und weitere 200 Rubel standen für allgemeine Belange im Kalenderjahr zur Verfügung. Während der Kriegswirren 1812 kehrte dieser Geistliche mit seinem Sohn und dem Kirchendiener Iwan Stepanow nach Rußland zurück. Nicht allein die Kriegsereignisse werden der Grund für die Rückkehr gewesen sein. Der neu ernannte Gesandte, Graf Dawid Maksimowitsch Alopeus, war ein "Fremder", - weder Russe noch orthodox. Doch die Abwesenheit dieses Priesters von Berlin dauerte nicht lange. Im Zusammenhang mit der Neuordnung vom 25. April 1813, welche den Berliner Ministerialposten betraf, erhielt Vater Ioann die Order, als Erzpriester an die Berliner Kirche zurückzukehren. Hohe Ehrungen sind diesem Geistlichen zuteil geworden. In Anerkennung mehreren Übersetzungsar?beiten und seiner Gesamttätigkeit in Berlin erhielt er anläßlich der von ihm durchgeführten Weihe der Kirche zu Potsdam 1829 das goldene Kreuz und den preußischen Adlerorden 3. Ranges. Die Einweihung der Kirche zu Potsdam zu Ehren des hl. Alexander Newski fand in Anwesenheit Seiner Majestät, des Kaisers Nikolaj I. und Mitgliedern des Preußischen Herrscherhauses statt. 1832 wurde Vater Ioann in den St. Annen Orden 2. Klasse mit Krone aufgenommen. Diese Ehrungen zeugen sowohl von der Wichtigkeit, die allgemein der Vertretung russischer Geistlicher in Berlin beigemessen wurde, als auch von der Achtung, die man diesem Priester entgegenbrachte. Achtzigjährig nahm der Priester von der aktiven Arbeit Abschied und erhielt eine jährliche Pension von 1.200 Rubeln zuerkannt. Nicht ein Jahr war seitdem vergangen, als Vater Ioann 1834 starb und in der von ihm geweihten Kirche bei Potsdam beigesetzt wurde.

Die Errichtung einer eigenen Kirche bei Potsdam auf dem Kapellenberg war notwendig geworden, als seit 1813 einundzwanzig russische Soldaten, vier Feldwebel, vier Unteroffiziere und dreizehn Gemeine eine eigene Siedlung daselbst - die russische Kolonie Alexandrowka - zugewiesen bekamen. Zu diesen kamen 1815 noch Sänger eines militärischen Chores. Im Beisein des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. wurde am 30. August 1826 der Grundstein für den Kirchenbau gelegt. Der fünfkupplige Bau war 1829 fertiggestellt und wurde am 10. Juni dieses Jahres eingeweiht.

Die wenigen Jahre seit Errichtung der Kolonie Alexandrowka, aber auch der zweiten - Nikol'skoe - hatten ausgereicht, die Zahl der russischen Einwohner wesentlich sinken zu lassen. In der Kolonie Alexandrowka lebten zur Kirchweihe nur noch zwölf Russen. Die Annäherung dieser Kolonisten an die deutsche Sprachumgebung bewog die Oberste Kirchenleitung in St.Petersburg, durch Synodalerlaß vom 5. Mai 1839 festzusetzen, daß die Got?tesdienste in Potsdam fortan in deutscher Sprache zu feiern seien.

Diese Entscheidung bezeichnet die in der Zwischenzeit neu hinzugekommene Aufgabe der russischen Kirchenvertretung in und um Berlin - die geistliche Versorgung orthodoxer Christen, die in Deutschland beheimatet sind. Zwei Jahrzehnte später erscheint in deutscher Sprache ein kleines Buch "Auszug aus der Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomus für die russische Colonie Alexandrowka bei Potsdam". Neben der deutschen Übersetzung wird der kirchenslawische Text in lateinischer Umschrift geboten. Bald schon wurde dieser Übersetzungsansatz auch in anderen russischen Kirchen in deutschen Landen aufgegriffen. Während in Berlin die umfassende Übersetzungstätigkeit einige Jahrzehnte später von Erzpriester A. Malzew fortgeführt wird, entstanden in der Zwischenzeit weitere wichtige Schriften und Arbeiten. In Wien mühte sich Erzpriester Michael Rajewski, der 1862 die dreibändige Übersetzung des "Euchologion" veröffentlichte. Die Gewalt seiner Sprache beeinflußte alle weitere Tätigkeit auf diesem Gebiete. In manch anderen Gemeinden fanden diese ersten Textangebote freudige Aufnahme, und man begann, die nun notwendige musikalische Aufarbeitung in die Tat umzusetzen.

In Wiesbaden mühte sich der Erzpriester Ioann L. Janytschew, den oft monotonen Gesang der zwei Kirchensänger durch den ersten russischen orthodoxen Sängerchor außerhalb Rußlands zu ersetzen. Sein Nachfolger im Amte des Geistlichen, Erzpriester Sergi Protopopow, konnte daraufhin schon 1891 Vierstimmige Chorsätze zu Gesängen der göttlichen Liturgie veröffentlichen. Erzpriester Ioann Janytschew kam 1858 an die Kirche zu Berlin und brachte die in Wiesbaden gemachten Erfahrungen mit.

Auch in Berlin hatten sich wesentliche Veränderungen ergeben. Im Jahre 1837 wurde in der Straße unter den Linden 7 ein ?neues Gebäude für die Kaiserliche Botschaft erworben. Hierher gelangte dann auch die Einrichtung der neuen St. Wladimir Kirche. Dem greisen Vater Ioann Tschudowski hatte in Potsdam Vater Sachari Petrow schon als Diakon, danach auch als Priester geholfen. Als auch dieser Geistliche starb, übernahm Erzpriester Dorimedont Wassilewitsch Sokolow ab 10. Oktober 1831 die Betreuung beider Kirchen. Auch sein Nachfolger, Erzpriester Wassili Petrowitsch Polisadow, versah den priesterlichen Dienst in beiden Gemeinden. Offensichtlich hat er zumindest in der ersten Zeit häufiger in Potsdam denn in Berlin zelebriert. Vielleicht war der Anlaß hierfür die erwähnteUmsiedlung in die neuen Räume Unter den Linden-7. Beide Kirchen waren reich und wertvoll ausgestattet. Herrliche Ikonen, kostbares Altargerät, schöne Stickereien und hervorragende Buchsammlungen schmückten diese Räume.

Vater Ioann Leontijewitsch Janyshew kam zwar nur für ein Jahr nach Berlin, doch war seine Berufung bezeichnend - Seine großen Erfahrungen, welche er aus Wiesbaden mitbrachte, und seine umfassende Bildung gaben wesentliche Anstöße zum raschen Aufblühen der segensreichen Übersetzertätigkeit. Als dieser begnadete Priester nach abermaligem Wirken in Wiesbaden dann 1866 nach St.Petersburg zurückkehrte, konnte er als Rektor der Geistlichen Akademie zu St.Petersburg entscheidend zur Reform der Geistlichen Lehranstalten Rußlands mitwirken. Gleichzeitig berief man ihn zum 1907) besorgte A.P. Malzew 1895 die Veröffentlichung des neuen Testaments in der Übersetzung von V.A. Shukowski.

Viele Ehrungen wurden Vater Alexi zuteil. Er durfte die von der Bruderschaft in Tegel errichtete Kirche weihen, auch die in Bad Kissingen, in Herbersdorf und in Hamburg. An den Kirchenweihen zu Wien, Karlsbad und Marienbad nahm er teil. Ihm wurde der Konvertitenunterricht für Herzogin Jutta von Mecklenburg-Strelitz ?anvertraut, da sie sich auf die Eheschließung mit dem Thronfolger von Montenegro vorbereitete. Pektorale und Inful wurden ihm verliehen, sowie der St.Annen Orden 1.Klasse. Ehrenmitglied aller vier Geistlichen Akademien in Rußland war er geworden und ebenso der Christlich-Archäologischen Gesell- schaft zu Athen, der Serbischen Gesellschaft des Hl. Savva, der Gesellschaft der Vereinigten Orthodoxen Bruderschaften des New Yorker Gebietes und der Gesellschaft der Förderer der Russisch-Historischen Bildung. Durch Entscheid des Regierungssenates vom 13. Mai 1897 wurden er und seine Kinder in den erblichen Adelsstand erhoben.

Neben Vater Wassili (Goeken) stand ihm noch ein weiterer Priester hilfreich zur Seite. Es war Erzpriester Nikolai Nikolajewitsch Sacharow. Auch er war Sohn eines Geistlichen aus der Eparchie von Kostroma. Vater Nikolai wurde am 21. Mai 1869 geboren, beendete 1893 die Geistliche Akademie Zu St. Petersburg und wurde am 25. September als Psalmist nach Stuttgart geschickt. In Tübingen studierte er drei Jahre Kirchengeschichte, Apologetik und Dogmatik- Nach der Diakonats und Priesterweihe wurde er 1898 an die Botschaftskirche Zu Berlin berufen. Neben seinen priesterlichen Verpflichtungen war er Mitarbeiter am "Bogoslowski Westnik" und verwaltete als Schatzmeister die Rentenkasse für den im Ausland lebenden Klerus.

Nur der mit orthodoxer Liturgik Vertraute vermag zu ermessen, welch große Bedeutung die Erfahrung eines Psalmisten für das Leben mit den Gottesdiensten hat. Dieses gilt besonders für den priesterlichen Dienst im Ausland, da nicht selbstverständlich ist, daß in der Tradition lebende Chöre und Psalmisten den Gottes dienst mittragen. Hier muß der erfahrene Priester in seiner Person der Hirte im Priesteramt und in der Führung des Chores und der Organisation der Lebensfragen sein.

So war es ein Geschenk, als diesen tätigen Priestern fast gleichzeiti?g die Hilfe eines weiteren Psalmisten zuteil wurde. Ilja Alexandrowitsch Smirnows Leben war kennzeichnend für die Situation des kirchlichen Lebens jener Zeit. Als Sohn eines Psalmisten und Lehrers der Anfängerklasse im Geistlichen Seminar zu St.Petersburg wurde er am 17. Juli 1850 geboren. Mit dreizehn Jahren begann er im Metropolitanchor zu singen. Mit zwanzig Jahren wurde er Lehrer für Russisch und Arithmetik an der Stadtschule zu Vyborg, ohne die Aufgaben als Sänger im Metropolitanchor bis 1875 zu vernachlässigen. Ab 17 Juni 1875 wurde er zuerst in Weimar, danach ab 14.Juli 1 896 in Berlin als Psalmist eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Betreuung der Kirchenchöre in Remplin, Bad Kissingen, Marienbad, Franzensbad, Bad Homburg und in Hamburg. All diesen Aufgaben voran mußte er jedoch die Leitung des aus vier Männer- und fünf Frauenstimmen bestehenden Chores an der Botschaftskirche zu Berlin wahrnehmen. Dieser Chor erhielt monatlich 300,00 Mark.

Nur das wirklich gelebte liturgische Element konnte den Beteiligten die Notwendigkeit und die Möglichkeit der intensiven Übersetzungstätigkeit begreifbar machen.

Zwei Aufgaben erwuchsen gleichzeitig: die Organisation eines lebensfähigen Zentrums für russische Gläubige in Berlin und die Errichtung einer eigenen, repräsentativen Kirche in dieser Stadt. Die erste Aufgabe hat A.P.Malzew hervorragend gelöst, der Erfolg in der zweiten blieb ihm versagt.

Auch die Vorgänger des Erzpriesters Alexi hatten mehrfach auf die Tatsache hingewiesen, daß der kleine Gottesdienstraum in der Botschaft den Anforderungen nicht mehr gewachsen war. Hierzu trug vor allem die Tatsache bei, daß die Gemeinde sehr zahlreich geworden war. Russen, Bulgaren, Griechen, Serben und Rumänen besuchten die Gottesdienste. Die Kapelle im Botschaftsgebäude bot aber nur höchstens 150 Personen Platz.

Für die Griechen ergab sich 1905 die Gelegenheit, in der Nähe des Oranienburger Tores im Hof des Privathauses Oranienburger Straße-28 eine Kirche zu errichten, die der Hagia Sophia geweiht wurde. An dieser neuen Kirche dienten der aus Chicago gesandte Archimandrit Nektarios (Mawrogordatis) und der Diakon Polykarpos (Tomas), der an der Berliner Universität noch studierte.

Alle anderen orthodoxen Christen kamen in der Botschaftskirche zusammen, in welcher die Gottesdienste teilweise in kirchenslawischer, teilweise aber auch in deutscher Sprache zelebriert wurden.

Berlin war zur Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches geworden. Bereits anläßlich einer feierlichen Liturgie (Messe) in der St. Wladimir Kirche am 30. August 1872, an welcher Kaiser Alexander II., der preußische König und deutsche Kaiser Wilhelm I. und der österreichische Kaiser Franz Joseph teilnahmen, wurde der Wunsch und die Absicht geäußert, eine repräsentative Kathedrale in Berlin zu errichten. Der Besuch des russischen Zaren Alexander III. in Berlin verstärkte dieses Verlangen. Die deutschen Kaiser Friedrich III. und Wilhelm II. unterstützten Bemühungen deutscher Dienststellen, das Vorhaben voranzutreiben.

In mehreren Veröffentlichungen wurde dieser Plan aufgegriffen. So lesen wir in einem Beitrag von Dr. Stephan Kokule von Stradonitz, welcher auf "ein altes russisch-preußisches Freundschaftsband" sich berief, folgende Zeilen:

"... Dagegen ist in diesem Zusammenhang zunächst die Kapelle der Russischen Botschaft in Berlin zu erwähnen, eigentlich überhaupt keine Kirche, kaum eine Kapelle zu nennen, sondern eher als ein zu gottesdienstlichen Handlungen bestimmter Saal zu bezeichnen... Das ist alles! Man wird ungescheut aussprechen dürfen, daß der geschilderte Mangel an einer großen russischen (griechisch-orthodoxen) Kathed?rale in unserer zur Riesenstadt gewordenen Reichshauptstadt nicht nur ein wenig würdiger, sondern ein nach manchen Richtungen hin geradezu bedauerlicher ist..."

Die rege Tätigkeit des Erzpriesters Alexi brachte es mit sich, daß Berlin in verhältnismäßig kurzer Zeit von mehreren russischen Hierarchen besucht wurde. Für die Zeit vorher ist allein von der Visite des Vikarbischofs der Eparchie von St. Petersburg und Nowgorod Leonti (Lebedinski, 1822-1893), dem späteren Metropoliten von Moskau, am 25. August 1861 berichtet, während nunmehr einige Bischöfe die Stadt aufsuchten. Zu den wichtigsten Besuchen gehören die des Erzbischofs von Finnland (Wadkowski, 1846-1912), des späteren Metropoliten von St. Petersburg und Nowgorod, am 29./30.Juni 1897, und des Bischofs von Nordamerika Tichon (Bellawin, 1865-1925), des späteren Patriarchen von Moskau und ganz Rußland, am 26. Mai 1903 und erneut am 1. Januar 1904. Die Besuche dieses Bischofs sollten für viele Entscheidungen, welche später im Zusammenhang mit dem Wirken des Erzbischofs Eulogi getroffen wurden, von wesentlicher Bedeutung werden.

Der neue Kirchenbau war im Tiergarten vorgesehen. Am 18. Mai 1895 war mit dem Segen des Metropoliten Palladi (Rajew) eine Sammelliste (Sbornaja kniga No.2350) angelegt worden. Auf dieses Konto hatte der Metropolit die erste Spende von 500,00 Mark überwiesen. Am 1. Januar 1905 wies das Konto ein Haben von 9.212,00 Mark auf. Gleichzeitig waren auf dem Konto bei Mendelsohn & Co. "Kirchen Conto-Compte Eglise" schon 140.000,00 Mark eingezahlt worden. Für das Jahr l913 wiesen alle Spenden für den Kathedralbau bereits die hohe Summe von 373.019,42 Mark auf. Lange Zeit ließen die hohen Grundstückspreise das Vorhaben scheitern. Hierzu lesen wir in dem bereits erwähnten Beitrag von Kokule von Stradonitz: ,,...in guter Gegend der Stadt müßte sich die "Kathedrale" schon bef?inden, die dem Propst von Malzew vor schwebt, wenn sie ihren Zweck erfüllen soll. Hier bietet sich also für Berlin die Gelegenheit zu einer nach vielen Richtungen nützlichen Tat, wenn sich ein hochherziger Schenker des Grundes und Bodens fände. Das eine derartige "Russische Kathedrale" auch zu einer Zierde unserer Reichshauptstadt dienen würde, darüber kann... kein Zweifel obwalten!"

Zar Nikolaj II. besuchte Berlin im Jahre 1913 aus Anlaß der Vermählung der einzigen Tochter Kaiser Wilhelm II., Viktoria Luise mit dem Herzog von Cumberland. Der Zar besuchte bei dieser Gelegenheit auch die Kaiserliche Botschaft in Berlin. Hierüber berichtet Erzpriester Alexi: "Schon bei seiner Ankunft sagte der Kaiser: Übermorgen werde ich bei Ihnen in der Kirche sein..." Und in seinem Grüßwort an den Kaiser führte er u.a. aus: "...Wahrhaftig, unsere genwärtige Kirche besitzt nicht jene Erhabenheit, welche unseren Gotteshäusern im heiligen Rußland eigen ist, - nicht strahlen auf ihr goldbedeckte Kuppeln. Sie besitzt keine Kreuze, auch keine Glucken, welche gleichermaßen Blick und Gehör eines jeden Rechtgläubigen erbauen. ...Aber wir hoffen, daß auch in der hiesigen Stadt bei Zeiten ein rechtgläubiges Kreuz aufgerichtet und die gute Kunde der heimischen Glocken verbreitet werde, und wir unsere Gebete emporsenden und das unblutige Opfer darbringen können in einem geräumigeren Gotteshause, welches der Würde des Glaubens und der Größe unseres Vaterlandes entspricht. Dazu verhelfe uns der Herr. Zugleich soll unser zukünftiges Gotteshaus auch als eine würdige Gedenkstätte dienen allen jenen russischen Helden der Befreiungskriege der Jahre 1813, 1814 und 1815, welche ihr Leben auf den Schlachtfeldern in Deutschland lassen mußten, so, wie das gerühmte Gotteshaus in Moskau, die Erlöser-Kirche, eine Stätte des Gebets und des Andenkens für die au?f den Feldern Rußlands im ruhmreichen Vaterländischen Kriege von 1812 Gefallenen geworden ist. ... Das zukünftige, dem himmlischen Beschützer unseres Vaterlandes, dem hl. Andreas dem Erstberufenen, zu weihende Gotteshaus in Berlin möge in sich alle in Deutschland verstreuten Gräber und Denkmale der russischen Führer und Krieger vereinen, welche nicht in die Heimart überführt worden sind."

Anläßlich dieses Kaiserbesuches wurde Erzbischof Alexi mit dem Edelstein-geschmückten Kreuz, und Erzpriester Nikolai Sacharow mit einem goldenen Kreuz aus dem Kabinett Seiner Majestät ausgezeichnet. Der Diakon Lopatka und der Psalmist und Chorleiter Ilja Smirnow erhielten goldene Uhren.

Nicht nur der Plan, in Berlin eine Kathedrale zu errichten, sondern auch die Notwendigkeit, in anderen Orten Kirchen bauen zu müssen, zwangen den Erzpriester, Pläne zur Beschaffung ausreichender Geldmittel zu entwickeln. Wenn auch nicht ausschließlich, doch nicht unwesentlich zu diesem Zweck wurde am 29. März / 10. April 1890 die "Berliner Bruderschaft des Hl. Fürsten Wladimir" gegründet, deren Protektor der Großfürst Wladimir Alexandrowitsch, der Bruder des Zaren Alexander III. wurde. Am 27. März / 8. April 1890 schon hatte das Preußische Innenministerium die Satzung dieser Bruderschaft bestätigt. Die ersten Wahlen für den Vorstand fanden kurz darauf statt, und die segensreiche Arbeit dieser Gemeinschaft konnte beginnen.

Die Aufgaben dieser Bruderschaft entsprachen den weitgesteckten Zielen des Erzpriesters Alexi. Das Problem der "wandernden Russen" war ihm wohl vertraut. Viele Russen versuchten, im Ausland neue Lebensbedingungen zu finden und bedurften hierbei einer Stelle, die mit Rat und Tat helfen konnte. Andere wiederum wollten in die Heimar zurückkehren, doch ermangelten diesen die hierzu notwendigen Mittel. Wieder andere wollten f&uum?l;r immer in der Fremde bleiben, doch auch diesen fehlten die Voraussetzungen, sich eine eigene Existenz aufzubauen. So werden die Zielsetzungen der Bruderschaft verständlich:

"l. Die Hilfeleistung für bedürftige und kranke russische Untertanen aller christlichen Bekenntnisse, ebenso für Personen orthodoxen Bekenntnisses aller Nationalitäten.

2. Die Förderung der geistlichen Bildung und in Besonderheit der Unterhalt zweier Schulen für Kinder und Erwachsene orthodoxen Bekenntnisses, welche in Berlin und in Potsdam - in der russischen Kolonie Alexandrowka - leben.

3. Der Dienst für die Bedürfnisse und Anforderungen der Kirchen: der Potsdamer, welche 1829 in der genannten Kolonie errichtet wurde, und der Berliner, wobei das Ziel verfolgt wird, das zur Errichtung eines orthodoxen Kirchengebäudes in Berlin benötigte Kapital zu sammeln, wo sich zur Zeit nur eine kleine Hauskapelle, die einzige für alle Orthodoxen, in der unteren Etage im Botschaftsgebäude (Unter den Linden 7) befindet, sowie zur Errichtung eines eigenen Friedhofes mit Kapelle usw."

Das erste Ziel der Bruderschaft wurde durch die Errichtung des "Kaiser Alexander Heimes" 1895 in der Wittestraße verwirklicht. Dieses "Heim" erhielt seinen Namen zu Ehren und Gedenken an den Zaren Alexander III. Hinzu kamen die Einrichtung einer Gärtnerei und einiger Gebäude zur Unterbringung der Hilfsbedürftigen und der Werkstätten. Die Gärtnerei bot die Möglichkeit, das zur Weiterreise benötigte Geld zu verdienen. Für Russen, die dortselbst untergebracht wurden, betrug der tägliche Lohn zwei Mark. Von dieser Summe wurde eine Mark für die entstehenden Reisekosten zurückgelegt. Auswärts wohnende Hilfsbedürftige erhielten täglich 2,50 Mark. Allen Bewohnern und dort arbeitenden Russen wurde kostenlos jede medizinische Betreuung geboten. Die Er?folge auf pflanzenzüchterischem Gebiete wurden auf mehreren Ausstellungen durch Prämierungen bestätigt. Die Einnahmen aus diesem Betrieb trugen wesentlich zum Gelingen des ganzen Vorhabens bei (jährlich über 12.000,00 Mark). Hinzu kamen Werkstätten für Kerzenzieherei, Wäscherei, Tischlerei, Schmiede und eine Buchbinderei. Die wohldurchdachte und danach auch klug geleitete Organisation ließ alsbald ein vorbildliches Unternehmen entstehen, welches in vielen Teilen jeder Nachahmung wert war.

Die zweite Zielsetzung erforderte die Einrichtung einer Bibliothek, eines Lesesaales und eines "Historischen Museums für Russische Geschichte im Ausland". Auch hier gelang es A.P. Malzew mit seinen begabten Helfern, schon in kurzer Zeit eine hervorragend geordnete Spezialbibliothek in den Räumen des Kaiser-Alexander-Heimes zusammenzutragen. Hierbei half dem Erzpriester die Tatsache, daß er als Gastdozent an der Friedrich-Wilhelm-Universität die besten Verbindungen zur Wissenschaftswelt seiner Zeit besaß. Fast alle Bücher und Sammlungen des Historischen Kabinetts sind in den wirren Jahren nach dem 2. Weltkrieg verlorengegangen. Bis zum Jahre 1914 aber hat unter der Leitung der Bruderschaft eine regelmäßige und qualitativ ausgezeichnete Unterweisung der sogenannten Kolonisten stattgefunden. Neben diesen Veranstaltungen wurden Vorträge über die Orthodoxie für die nicht-orthodoxe Umwelt gehalten. Die kluge Ausnutzung und Ausgestaltung der Räume im Kaiser-Alexander-Heim - es waren großzügige Repräsentationsräume eingerichtet worden - erlaubten es, auf diese Weise in Tegel ein kulturelles Zentrum entstehen zu lassen.

Auch die dritte Zielsetzung konnte in vielen Fällen erfüllt werden. Im Oktober 1892 verkaufte der Gutsbesitzer Robert Jahn in Dalldorf eine Parzelle von 17 Morgen an die Russische Kolonie in Berlin, vertreten durch den Erzpriester Alexi.? Auf dem Gelände entstanden ein orthodoxer Friedhof, eine Friedhofskirche, ein Haus für den Friedhofswächter und einige Wirtschaftsgebäude. 30.000,00 Mark mußte die Bruderschaft für diesen Kauf erbringen. Am 21. Mai 1893 erteilte der Metropolit von St.Petersburg und Nowgorod Palladi (Rajew) die Bauerlaubnis, und nach wenig mehr denn einjähriger Bauzeit konnte Vater Alexi die neue Kirche weihen. Seither finden in dieser Kirche zu Ehren der apostelgleichen Konstantin und Helena, wie ihr Name lautet, Gottesdienste statt. Das fünfkupplige Gebäude ist in byzantinisch-russischem Stil errichtet und entspricht im Wesentlichen der Bauweise des 17./18. Jahrhunderts. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges waren beide Kirchen, die Ober- und die Unterkirche noch erhalten. Während die Oberkirche bis auf den heutigen Tag für Gottesdienste genutzt wird, hat man nach 1945 die Unterkirche geschlossen. Durch Schenkungen konnte der Bau innen prachtvoll ausgestaltet werden. Insgesamt hatte die Innenausstattung nochmals 45.000,00 Mark gefordert.

Die ersten Jahrzehnte führte der Friedhof das Dasein einer gewöhnlichen Begräbnisstätte, bis der Zusammenbruch des Zarenreiches eine Vielzahl von Emigranten, deren Lebensweg in Berlin sich vollendete, hier die letzte Ruhestätte finden ließ.

Im Jahre 1906 verwaltete die Bruderschaft einen Etat von 347 367,36 Mark. Vielen Menschen konnte in vielerlei Form Hilfe gewährt werden. Endlich hatte die Russische Kirche die Möglichkeit erhalten, in der Fremde Zeugnis für die eigene Kultur und Frömmigkeit abzulegen. Es ist hierfür bezeichnend, daß die Nähe zum Friedhof gesucht wurde. Für die Umwelt in Berlin war, soweit diese protestantisch ausgerichtet war, die gelebte Einheit aller Lebenden mit den schon Vollendeten, den Heimgegangenen fremd, doch vielen wurde hier eine Wesenheit des wahren Glaubens offenbart.

De?r Bischof der Aleuten, Nikolai, charakterisierte die Arbeit der Bruderschaft bei seinem Besuch in Berlin am 21. Mai 1895 mit folgenden Worten: "Als Bischof einer Eparchie, welche sich fern der Grenzen unserer Heimat befindet, verstehe ich mehr denn irgendein anderer die Idee dieser heiligen Sache und die Verdienste ihrer Schöpfer und Wohltäter!" ... Hier finden sich orthodoxe Menschen zusammen nicht nur im Geiste russischen Volkstums, im Geiste des "Panslawentums".

Eine Stätte des Friedens und des gelebten Christentumshatte sich gebildet. Doch jäh änderte sich alles durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges. Erzpriester Alexi von Malzew mußte Berlin verlassen. 1915 starb er in seiner Heimat im einundsiebzigsten Lebensjahr. Fast alle Botschaftsangehörigen kehrten ebenfalls nach Rußland zurück. Zurück blieb eine Welt, die sich in kurzer Zeit zwar ähnlichen Aufgaben, doch unter vollkommen anderen Voraussetzungen wieder zuwenden sollte. Die Genialität des verstorbenen Erzpriesters Malzew und seiner Vorgänger hat ein Fundament gelegt, welches noch Jahrzehnte danach, selbst nach dem 2. Weltkrieg mit allen bekannten Folgen, den in Berlin lebenden Orthodoxen ein kleines Stück Zuflucht bietet. Es war bis 1914 die Zeit des Aufbaues, des brüderlichen Miteinanders. Nun sollte eine Epoche der Wirren und der Mißverständnisse folgen.

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2. Die Zeit der Wirren.

Nur eine kurze Zeit blieb noch, in der Berlin ein Zentrum kirchengeschichtlicher Entwicklung bleiben konnte. Die Geschehnisse nach dem l. Weltkrieg brachten viele Veränderungen und neue Aufgaben. Um seiner Verantwortung besser zu entsprechen, mußte Erzbischof Evlogij (Georgievskij) seine erste Kathedra in der Emigration - die von Berlin - nach Paris verlegen. Von dort aus mühte er sich, alle ihm vom Moskauer Patriarchen Tichon anvertrauten russischen Gemeinden in Westeuropa zu le?iten und gegen die aus Karlovac in Serbien drohenden Gefahren zu bewahren. So wird es notwendig sein, das Geschehen insgesamt zu betrachten, um die weitere Entwicklung in Berlin darzustellen.

Ehe wir mit der Beschreibung jener Ereignisse beginnen, sollten wir uns einige grundsätzliche kirchenrechtliche Voraussetzungen verdeutlichen. Jeder Bischof empfängt seine Diözese aufgrund der Synodenentscheidung. In seiner Diözese hat der Bischof volle Jurisdiktion, außerhalb jedoch verfügt er über keinerlei Jurisdiktion. Es ist ausgeschlossen, daß ein rechtmäßig geweihter Bischof der. aus welchen Gründen auch immer, in seiner Diözese nicht amtieren kann, aus ,eigener Machtvollkommenheit, sich eine neue Diözese schafft.

Allein der Patriarch mit seinem Synod kann einen Bischof abberufen, kann ihn auf eine andere Kathedra berufen oder aber ihn von seinen bischöflichen Pflichten entbinden. Da es für alle Länder kirchenrechtlich zuständige Ordnungen und Verwaltungen gibt, ist jeder Bischof und Kleriker, sofern er gezwungen wird, sich außerhalb seines Amtsbereiches aufzuhalten, gahalten sich im Einverständnis mit seiner Mutterkirche der nunmehr gegebenen Landeskirchlichen Leitung des Gastlandes unterzuordnen.

Der Bischof ist der erste Haushalter der heiligen Sakramente in seiner Diözese. Er leitet und weidet seine Herde im Auftrage der Kirche. Diese allein ist der Inhalt seines Handelns. Jede politische Bindung an weltliche Machtform muß dem Hirten fremd bleiben.

Zum Leidwesen der russischen Gemeinden im Ausland haben manche aus Rußland gefürchteten Hierarchen die Treue zu dieser Ordnung nicht bewahrt.

Für die Orthodoxe Kirche in Rußand darf festgestellt werden, daß es zu keiner Zeit nach 1917 eine Situation gegeben hat, in welcher nicht die kannonische Leitung durch eine?n Patriarchen oder einen locum tenens sicher gestellt gewesen wäre. Folglich mußte sich jeder russisch- orthodoxe Bischof dieser oberhirtlichen Gewalt unter ordnen, unabhängig davon, ob er sich in der Heimat oder aber in der Fremde befand. Für den Fall, daß schwerwiegende Gründe dieses unmöglich gemacht hätten. wäre die schon erwähnte Unterordnung unter die Hierarchie des Gastlandes erforderlich gewesen.

Selbst für den Fall, daß auch die Hierarchie des Gastlandes nicht erreichbar gewesen wäre, hätte es eine orthodox-kannonische Ordnung und somit einwandfreie Lösung gegeben: die Unterstellung unter die Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats.

Der Streit um Jurisdiktionsfragen im nun zu schildern den Zeitraum von 1917 bis 1945 zeigt, daß nicht alle geflohenen Hierarchen Kirchenrecht vom Staat Heimat- Gedanken zu trennen vermochten. Doch möge der Leser beachten, daß die Gemeinschaft der Heutigen Orthodoxen Kirche niemanden verurteilt hat. Die Kirche hat sich nicht gescheut, daß Irren als einen Fehler zu nennen und auch zu tadeln. Die Heilige Kirche hat die Wunden dieser Zeit auf sich genommen. Sie hofft, daß die Fehler bekannt und getilgt werden.

Die Revolutionsereignisse in Rußland 1917 veranlaßten viele Christen und Nichtchristen, ihre Heimat zu verlassen. Sie suchten in verschiedenen Nachbarländern Zuflucht. Unter diesen Flüchtlingen waren manche Bischöfe. Die wohl größte Gruppe dieser Hierarchen kam in die Türkei. Sie fand Aufnahme seitens der Kirche von Konstantinopel, die in allem bemüht war, unmittelbare Not zu lindern.

Zu den Bischöfen, die nun im Ausland lebten, gehörten der Metropolit von Kiew und Galizien Antonij (Chrapkovickij) und der Erzbischof von Volynien und Zitomir Evlogij (Georgievskij). Beide Bischöfe verband viel gemeinsam du?rchlebtes Leid, und Erzbischof Evlogij hat, allen Schwierigkeiten zum Trotz. bis zu seinem Tode immer wieder diese seine Bindung an den älteren Mitbruder im Amte betont. Für den Betrachter der nun aufzuzeigenden Entwicklung wird diese Tatsache zu seinem Schlüssel des Verstehens werden. Doch darf auch nicht vergessen werden, daß Metropolit Evlogij nicht selten selbst darauf hingewiesen hat, wie sehr er durch die "Rücksichtnahme" auf die Person des Metropoliten Antonij zu unguter Duldung sich hat bewegen lassen.

Diese beiden Bischöfe wurden in der Folgezeit die Vertreter der sich gegenseitig ausschließenden Lösungswege für die Kirchensituation der russisch-orthodoxen Emigranten. Erzbischof Evlogij war stets bemüht, den kanonischen Weg zu wahren, während Metropolit Antonij den unkanonischen Weg wählte. Einen Hinweis auf die Stellungnahme des Ökumenischen Patriarchates will ich nach der kurzen Schilderung der Ereignisse geben.

Die Zeit der Wirren umfaßt die Jahre von 1917 bis 1945. Während Metropolit Antonij sich mit einer Gruppe der geflohenen Bischöfe .selbständig und unabhängig macht, bleibt Erzbischof Evlogtj bis 1930 Bischof der Russischen Kirche, um danach sich dem Ökumenischen Patriarchat zu unterstellen.

Metropolit Antonij war der dienstälteste Bischof unter denen. die sich zu Beginn der Emigration im Ausland befanden. Hinzu kam, daß dieser Bischof auf der Bischofssynode 1917 in Moskau die besten Aussichten hatte, zum Patriarchen gewählt zu werden. Die letzte Entscheidung jedoch bestimmte den damaligen Metropoliten von Moskau, Tichon (Belavin) zum neuen Patriarchen von Moskau und ganz Rußland. Diese Vorgeschichte ist deshalb wichtig, weil sie zusätzlich das weitere Handeln des Metropoliten Antonij zu erklären vermag. Ihm wurde vom neuen Patriarchen in der ersten Stunde der Emigrationsgeschichte die Leitung de?r im Ausland lebenden russisch orthodoxen Gemeinden anvertraut. Doch schon im Oktober 1920 trat eine entscheidende Veränderung ein: der Patriarch Tichon ernannte anstelle des Metropoliten Antontj den Erzbischof Evlogij zum verantwortlichen Leiter der russischen Gemeinden im Ausland.

Im April 1921 übermittelt Metropolit Antonij dem Erzbischof Evlogij die Entscheidung des Patriarchen:

Dem Hoclhwürliigsten Evlogij

Erzhiscllof von Volynien und Zitomir

Hiermit habe ich die Ehre Ihnen mitzutelen, daß auf Anordnung der Obersten Kirchenleitung Ihnen die Leitung aller russischen Kirchen in Westeuropa mit den Rechten eines regierenden

Bischofs übertragen wird.

...

Dieses geschieht bis zur Wiederherstellung der freien Verbindung

zum Allrussischen Patriarchen.

Vorsitzenlier der Obersten Kirchenverwaltung

Antony, Metropolit von Kiew und Galizien

2./15. April, 1921 Nr. 318

Ihre Ernennung erfolgte bereits am 2 Oktober 1920 in Simferopol , und wurde Anfang Nowember 1920 in Konstantinopel bestätigt.

Von dieser seiner Ernennung unterrichtete der Erzbischof die Zentren seiner neuen Diözese. Die sehr vorsichtige Reaktion des Erzpriesters Iakov Smirnov aus Paris diente der kirchenrechtlichen Festigung. Er erbat vom Erzbischof von Finnland Serafim Auskunft über die Rechtmäßigkeit der erwähnten Ernennung. Nach Rückfragen erging im Namen des Patriarchen Tichon folgende Weisung:

Dem Hoch würdigsten Ewlogij Erzbischof von Volyni en und Zitomir

Mit dem Segen Seiner Heiligkeit des Patriarchen haben der Heilige Synod und der Oberste Kirchenrat in gemeinsamer Sitzung das Schreiben des Hochwürdigsten Bisc?hof von Finnland vom 5. März d.J. angehört, welches die Bitte des Vorstehers der russischen Gesandtschaftskirche zu Paris Jakow Smirnow um offizielle Bestätigung die Ernennung Eurer Eminenz durch die Oberste Kirchenleitung der russischen Gemeinden im Ausland enthält. Es soll bestätigt werden, daß für ernannt worden seid für alle russischen Kirchen im Ausland mit den Rechten eines regierenden Bischofs.

Es wird bestimmt: im Hinblick auf die von der Obersten Kirchenleitung im Ausland erfolgte Anordnung wird für richtig erkannt, daß alle russischen Kirchen in Westeuropa sich bis zur Wiederherstellung der ordnungsgemäßen und ungehinderten Beziehungen aller genannten Kirchen mit Petrograd unter Ihrer Leitung befinden., und das Ihr Name anstelle des Namens S.E. des Hochwürdigsten Metropoliten von Petrograd während der Gottesdienste kommemoriert werden soll.

Hierüber wird dem Hochwürdigsten Erzbischof Serafim von Finnland eine entsprechende Mitteilung gefertigt.

26. März 728. April 1921 Nr. 423

Mitglied des Synods M. Evseij Numerov, Geschäftsführer

Wenig später kam auch die Bestätigung aus Petrograd:

Mitropolit von Petrograd und Gdovsk

8./21. Juni, Petrograd

Hochwürdigster, hochgeehrter Gebieter !

Meinerseits erkläre ich mein vollkommnes Einverständnis, daß

Für die Zeit da es fast keinerlei Verbindungen zu den Kirchengemeinden im Ausland gibt, Sie diese leiten sollen. Dieses geschieht aufgrund der Tatsache, daß die Leitung dieser Kirchen durch E. Eminenz sowohl anerkannt als auch bestätigt wurde von Seiner Heiligkeit, dem Patriarchen.

Meine Seele leidet für diese Kirchen, doch vermochte ich nicht, diesen zu helfen.

Eurer Bischöflichen Gnade gehorsamster Diener

Venyamin Metropolit von Petrograd.

Die angeführten Schriftstücke beweisen, daß die geflohenen Bischöfe, - offensichtlich in der Hoffnung. Daß sich in absehbarer Zeit eine Klärung der politischen, damit auch der kirchenrechtlichen Situation ergeben werde, - die Autorität und die Zuständigkeit des Patriarchen von Moskau und ganz Rußland anerkannten. Dieses kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß diese Bischöfe weiterhin die Titel trugen, die sie bei ihrer Ernennug noch vor der Revolution in der Heimat innenhaten.

Schon bald nach der ersten Welle der Emigration in die Türkei wurde Serbien für viele Flüchtlinge zur Zufluchtstätte. In Karlovac residierte der serbische Bischof Georgij Letich. Dieser nahm Erzbischof Evlogij mit großer Gastfreundschaft auf und wies ihm das Kloster Gergetek zum vorübergehenden Wohnsitz an.

Juli 1920 erreichte den Erzbischof Evlogij die Aufforderung, gemeinsam mit Bischof Irinej und Mönchsprister Emeljan (Serbisch-Orthodoxe Kirche) nach Genf zu fahren, um als Vertreter der Russischen Kirche die Stimme derselben auf dem Weltkongreß der Christlichen Kirchen zu erheben. Hier lernte der Erzbischof erstmalig die Probleme der ökumenischen Fragestellungen kennen. Seinem väterlichen Freund, dem Metropolit Antonij, fertigte er einen ausführlichen Bericht.

Zurückgekehrt nach Serbien, gelang es dem Erzbischof über die Vermittlung des Bischofs Georgij die Genehmigung zu erreichen, die in Konstantinopel in großer lebende Oberste Kirchenleitung der Russische Kirche im Ausland nach Serbien einreisen zu lassen. Karlovac wurde zum Zentrum der Begegnung und der Tätigkeit der russischen Bischöfe im Ausland.

Gem?äß aller erwähnten Entscheidungen hätte Erzbischof Evlogy die Leitung aller Gremienarbeit sofort übernehmen müssen, doch überließ er de facto dem Metropoliten Antonij weitgehende Kompetenzen. Bald darauf kam der Vorsitzende des Monarchistischen Rates' N.D. Thalberg aus Berlin zum Erzbischof und forderte ihn auf seinen Amtssitz nach Berlin zu verlegen. Mit dieser Einladung wurde auch der Archimandrit Tichon (Ljaschenko) aufgefordert, dem Erzbischof zu folgen. Hiermit begann eine Entwicklung, die im Hinblick auf den Letztgenannten eine für Berlin ungute Wendung nehmen sollte. Zur Erstfinanzierung der neu en Kirchenverwaltung überbrachte N.D Thalberg dem Erzbischof 10.000,00 Mark.

Über Belgrad, Wien und Prag trat der Erzbischof die Reise nach Berlin an. In Wien unterrichtete ihn Fürst G.N. Trubezkoj über die Situation der Emigranten und der Emigrationsgemeinden in Westeuropa. Die neuen Aufgaben des Erzbischofs erhielten hier ihre ersten Konturen.

Erzbischof Evlogij kam am Dienstag der Karwoche des Jahres 1921 in Berlin an. Hier wurde er u.a. von Senator A.V. Bel'gard, dem Leiter des Kaiser-Alexander-Heimes in Tegel empfangen. In diesem Hause erhielt der Erzbischof drei Zimmer, und hier begann die Arbeit an einer Neuordnung. Am darauffolgenden Tage gelangten auch Archimandrit Tichon und Diakon Vdovenko nach Berlin. Am Donnerstag der Karwoche schon zelebrierte der Erzbischof in der Gesandtschaftskirche, welche den Krieg ohne Schäden überstanden hatte. Am Karsamstag vollzog der Erzbischof in der Berliner Kirche die erste Priesterweihe in der Emigration.

Nach einer kurzen Visitationsreise nach Bad Reichenhall, Bad Brückenau und Bad Kissingen kehrte der Erzbischof wieder nach Berlin zurück. Bald darauf kam Metropolit Antony für einige Tage in diese Stadt. Der Oberste Rat der Monarchisten wählte den Metropoliten zum Ehrenvorsitzenden, und Erzbischof Evlogi?j wurde dessen Stellvertreter. Eine der ersten Hilfsaktionen für die in der Heimat gebliebenen Christen bestand darin, daß der Erzbischof eine Waggonladung Weizen an die Adresse des Moskauer Patriarchen sandte. Diese Lieferung hat den Patriarchen nicht mehr erreicht, denn er war schon vorher verhaftet worden, doch gibt es Hinweise, daß dieser Weizen später im Gouvernement Saratov verteilt worden ist.

* * *

Metropolit Evlogij unterrichte von diesem Schreiben sofort den Metropoliten Antonij. Anfang August kam er selbst nach Karlovac. Hier begegnete ihm die bereits formierte Opposition. Nach entsprechendem Vortrag des Sekretärs der Kirchenleitung Macharaschwili und einer entsprechenden Entgegnung seitens des Metropoliten Evlogij stimmte die Versammlung für eine Vertagung der "Inkraftsetzung des Patriarchenerlasses" bis zur Klärung. unter welchen Umständen dieser Erlaß zustande gekommen sei. Metropolit Anastasij vertrat die Meinung, man habe dem Patriarchenerlaß zu folgen, die Oberste Kirchenleitung müsse aufgelöst werden, da nunmehr die Neuordnung dem Metropoliten Evlogij überantwortet sei, und man sollte für das kommende Jahr eine neue Versammlung mit dem Ziel einberufen, eine neue "Oberste Kirchenleitung" zu benennen. Hier zu sollte die Genehmigung der Serbischen Regierung eingeholt werden. In der Zwischenzeit sollte die "Bischofssynode von Karlovac" alle notwendigen Unterlagen zusammentragen. Diesem Vorschlag widersprach Bischof Venjamin und wies darauf hin, daß Metropolit Evlogij unmittelbar die Leitung übernehmen müsse. Falls diese ,Synode' weiterhin bestehen sollte, so nur unter der Leitung des Metropoliten Evlogij. Daraufhin erklärte Metropolit Evlogij, daß fortan die Weisungen der "Synode von Karlovac" für ihn gegenstandslos seien, er viel mehr allein den Willen des Patriarchen zu erfüllen gedenke. Leider hat er diesen Entschluß seinem älter?en Mitbrüder im Bischofsamt gegenüber nicht konsequent genug durchgeführt.

Zur Jahreswende 1922/23 war deutlich geworden, daß der Metropolit Evlogij, wollte er seiner Aufgabe, die Kirchen in Frankreich, Deutschland, England, Belgien, den Niederlanden, der Tschechoslowakei, Italien, Österreich, der Schweiz, Schweden, Rumänien, Dänemark und Bulgarien zu leiten und zu ordnen gerecht werden, die Kirchenleitung nach Paris verlegen mußte. Trotz der nun vorgesehenen großen räumlichen Trennung von jenem in Karlovac noch immer vorhandenen Kreis war der Metropolit immer noch willens, die ihm nunmehr allein zustehende Kompetenz brüderlich mit den anderen Bischöfen zu teilen. Metropolit Evlogij hoffte, über eine zu entwerfende Neuordnung, wie sie vom Patriarchen erwartet wurde, eine allgemein annehmbare Lösung für alle zu finden. 1923 wurde folgender Plan einer Neuordnung entwickelt: das Gesamtgebiet soll in vier Territorien aufgeteilt werden: 1. Westeuropa, 2. Osteuropa (Balkan), 3. Fernost und 4. Nordamerika. Jährliche Synodaltreffen wurden zur Klärung anstehen der Fragen vorgesehen. Den Vorsitz sollte, ungeachtet aller offiziellen Äul3erungen, wiederum Metropolit Antonij übernehmen, denn die geplante Neuordnung hätte die "Synode von Karlovac" überflüssig werden lassen. Zur Beschlußfähigkeit eines geplanten Synodaltreffens war die Anwesenheit von zwölf Bischöfen vorgesehen.

Während der Sitzungsperiode der "Synode von Karlovac" 1923 wurden die Vorschläge des Metropoliten Evlogij nicht angenommen. Die "Synode von Karlovac" blieb erhalten. Sie erhielt zudem die Jurisdiktion über alle russischen Kirchen auf dem Balkan und in Fernost. Das Territorium von Westeuropa wurde dem Metropoliten Evlogij zugewiesen, während über Nordamerika noch keine Entscheidung getroffen werden konnte, da man annahm, der zuständige Metropoli?t Platon werde die Autonomie seiner Eparchie beantragen. Zwischen den Sitzungsperioden sollte die Konferenz von Karlovac die Amtsgeschäfte führen, ohne sich direkt in die Angelegenheiten der einzelnen Diözesen einzumischen. Wichtig erschien es, in allen Zentren, vorhehmlich in Deutschland und in Italien, Ortsbischöfe einzusetzen. Somit hatten sich jene Bischöfe in fast allen Punkten von der geforderten Ordnung abgewandt. Diese Entscheidungen wurden im darauffolgenden Jahr noch wesentlich erweitert. Doch ehe hierüber berichtet werden kann, müssen noch einige Ereignisse in Deutschland erwähnt werden.

In Deutschland war zu jener Zeit bereits eine Vielzahl hervorragend ausgestatteter russischer Kirchen errichtet worden. Diese unterstanden nunmehr der Jurisdiktion des Metropoliten Evlogij. Als dieser nach Paris übersiedelte, wurde der Archimandrit Tichon zum Vorsteher der Kirche in der ehemaligen Botschaft ernannt. Da aber die deutsche Regierung in der Zwischenzeit die neue sowjetische Macht anerkannt hatte, mußte das Botschaftsgebäude übergeben werden. Dieses bedeutete zwangsläufig die Räumung der Kirche. In der Nachkriegszeit hatte der einstige Vorsteher der St.-Anna-Kirche zu St. Petersburg, Pastor Masing, in der Nachodstraße 10 in Berlin Wilmersdorf ein Russisch Deutsches Gymnasium mit angeschlossenem Internat eingerichtet. Als dieser nun von der Notwendigkeit erfuhr, einen neuen Kirchenraum zu finden, bot er im genannten Gebäude zwei miteinander verbundene Klassenräume an. Hierher zog der Archimandrit Tichon mit der Einrichtung der Botschaftskapelle.

Bald darauf begann der Archimandrit, offen seine Kandidatur auf das Bischofsamt anzumelden. Hierin fand er die Unterstützung des damaligen Kirchenältesten Troizkij und der "Synode von Karlovac". Im Widerspruch zur eigenen Überzeugung weihte Metropolit Evlogij den Archimandriten Tichon nach Ostern 1924 zum Bischof Dieser? Vikarbischof Tichon verstand es, seine Ansprüche auf mehr Kompetenz und Einfluß dergestalt durch zusetzen, daß noch im gleichen Jahr auf der entsprechenden "Synodalsitzung zu Karlovac" in seinem Sinne Beschlüsse gefaßt wurden. Im Oktober trat die ,Synode' zusammen. Offen waren insgesamt vierzig Beratungsgegenstände, doch drei waren allein entscheidend: l. Über die Notwendigkeit und die Modalitäten, eingedenk der politischen Entwicklung in der Sowjetunion, der Bischofssynode von Karlovac unter Leitung des Metropoliten Antonij die Rechte einer Obersten Kirchenleitung zuzuerkennen, 2. Über die Notwendigkeit und eine weitere Zusammenarbeit unter der Voraussetzung denkbar wäre, wenn sie die Forderungen des Patriarchen annähmen. Auch dieses Zeichen seiner Bereitschaft wurde verworfen. Durch Bischof Tichon erfuhr der Metropolit die Entscheidung der Versammlung, Deutschland zu einer selbständigen Eparchie unter Leitung des Bischofs Tichon zu erklären. Diese Eparchie solle zukünftig der Jurisdiktion von Karlovac unterstehen. So hatten die Intrigen des Bischofs Tichon zu einer kläglichen Trennung geführt. Das Territorium Deutschlands war der legitimen Leitung durch den Metropoliten Evlogij entzogen worden.

Noch mehrere unhaltbare Beschlüsse zeichneten die genannte "Synode" aus. Ein besonderes Ärgernis für diese Synodalen war die erfolgreiche Gründung einer theologischen Lehranstalt in Paris. Hier hatten sich unter der Leitung des Metropoliten Evlogij die besten und erfahrensten Vertreter aller theologischen Disziplinen zusammengefunden, deren Weiterarbeit in der werdenden Sowjetunion unmöglich geworden war. Hochgerühmte Namen gaben vom ersten Tage an diesem geistigen Zentrum Gewicht und Aussage: Unter diesen waren die Professoren A. Kartashev, B. Zen'kovskij, K. Kern, G. Florovskij, L. Zander der spätere Bischof Kassian, S. Bulgakov, M. Ossirgin und viele andere mehr. Besonders die ?Schriften des Erzpriesters Sergij Bulgakov er regten in Karlovac Unwillen und Haß.

Dieser Dogmatiker hatte in vielen hervorragenden Schriften theologische Forschung offenbart, die vor ihm noch keiner zu definieren versuchte. Hierher gehören u.a. die Gedanken zur Lösung der Frage, wie die Göttliche Sophia zu verstehen sei. Ungeachtet der Tatsache, daß sowohl der Autor, als auch die hierarchischen Instanzen, denen er verpflichtet war, eindeutig feststellen, daß es sich um gläubige Forschungsarbeit, nicht zwingend um "Lehrgut" der Kirche handele, scheuten sich die Synodalen in Karlovac nicht, diese Schriften zu einem weiteren Anlaß zu wählen, den Metropoliten anzugreifen. Sie forderten usurpatorisch, daß ihnen die Leitung dieser theologischen Lehranstalt übergeben werde. Die offene Feindschaft der Synodalen in Karlovac gipfelte in der Androhung, daß sie für den Fall, daß weder der Metropolit, noch seine Vikarbischöfe die kirchenrechtliche Kompetenz der Synode zu Karlovac anzuerkennen bereit sein werden, sie einen anderen regierenden Bischof für Westeuropa ernennen werden. Die Kluft war unüberbrückbar geworden. Die Synode von Karlovac hatte sich unkanonisch über alle Weisungen des Patriarchen hinweggesetzt. Am 13./26. Januar 1927 belegte diese "Synode" den Metropoliten Evlogij mit dem Interdikt und verbot allen Orthodoxen jegliche Gebetsgemeinschaft mit diesem nunmehr gebannten Bischof.

Die nun einsetzende unbarmherzige Agitation gegen den Metropoliten Evlogij seitens der Anhänger der "Karlovacer Synode" zwang den Hierarchen, sich gemäß der 17. Regel des 4. Ökumenischen Konzils, an den Ökumenischen Patriarchen mit der Bitte um letztliche Klärung der entstandenen Streitfrage zu wenden. Im Antwortschreiben führte S.H. Patriarch Basilius III. aus:

".. Uns fällt es in keinerlei Weise schwer zu erkl&au?ml;ren, daß das gegen Sie von der sogenannten Bischofssynode im Ausland ausgesprochene Verbot kirchenrechtlich ungesetzlich ist und folglich für die Kirche keinerlei Bedeutung hat, denn auch das Zusammentreten dieser usurpatorischen Versammlung ist keinesfalls mit der kirchenrechtlichen Leitung eines Kirchenorgans vereinbar Über die Notwendigkeit, die Nichtigkeit und die schädlichen Aktivitäten dieser Gruppe zu beenden, haben die gesetzmäßigen Instanzen schon mehrfach Hinweise und Anweisungen erteilt".

Diesem Urteil schlossen sich der Patriarch von Alexandrien und die Erzbischöfe der Kirche von Hellas, von Litauen, Lettland und Finnland an.

Nunmehr war Metropolit Evlogij gezwungen, zur Absicherung des inneren Friedens seiner Diözese eine Eparchialversammlung einzuberufen. Im Sommer 1927 trat diese in Paris zusammen. Die Unterstützung durch seine Vikarbischöfe und auch durch die Gemeinden selbst für die vom Metropoliten gewünschte Ordnung war offenkundig. Alle Bemühungen des zu dieser Zeit in Paris weilenden Metropoliten Anastasij, diese Einigkeit zu stören, mißlangen. Während die unter der Leitung des Metropoliten Evlogij lebenden Gemeinden in zunehmender Ruhe sich weiter entwickelten, bahnte sich für den Metropoliten selbst eine neue Auseinandersetzung an. Diesmal sollte es zu einer Entscheidung über die weitere Anhängigkeit vom Moskauer Patriarchat kommen. Patriarch Tichon war 1925 gestorben. Zum "locum tenens" wurde Metropolit Sergij (Stragorodskij) ernannt, der dieses Amt bis zu seiner Berufung auf den Patriarchenthron (1943) innen hatte. Als nunmehr ranghöchster Hierarch der Russischen Kirche forderte er den Metropoliten Evlogij durch eine Anordnung vom l./ 14. Juli 1927 - Nr. 93 auf als verantwortlicher Bischof sich durch eigenhändige Unterschrift dafür zu verbürgen, dal3 die ihm unterstellten Kleriker jegliche Agitation gegen die Sowj?etregierung sofort einstellen und sich fortan loyal dieser Macht gegenüber verhalten werden. Die Angelegenheit duldete offensichtlich keine Verzögerung. M. Evlogij wollte keine Trennung vom Patriarchat, auch wollte er vermeiden, daß durch unbedachtes Handeln der Kirche in Rußland ähnliche Schwierigkeiten erstünden, wie einst nach der unbesonnenen Haltung der Bischöfe in Karlovac. In seiner Antwort interpretierte er den Begriff der Loyalität dahingehend, daß sich die Kleriker der Emigrationsgemeinden in der Kirche apolitisch zu verhalten hätten. Eine Loyalität der sowjetischen Staatsgewalt gegenüber dürfte jedoch nicht verlangt werden. Metropolit Sergius nahm diese Auslegung an, verlangte jedoch die Unterschriften aller Vikarbischöfe und des ganzen Klerus der dem Metropoliten Evlogij unterstellten Gemeinden. Mit wenigen Ausnahmen haben fast alle Kleriker der Eparchie die geforderte Unterschrift geleistet.

Drei Jahre noch war Metropolit Evlogij bemüht, die i Bande zur Mutterkirche nicht abreißen zu lassen. Doch i dann war die Stunde des Bruches gekommen.

Zwei Anlässe wurden in diesem Zusammenhang wichtig. Im Journal "Vue " war berichtet worden von einer schriftlichen Erklärung des Metropoliten Sergius dahin gehend, daß es in der Sowjetunion keine Verfolgung der Kirche gibt. Diese Ver6ffentUchung bewirkte eine nicht geringe Unruhe. Immer schwerer wurde es, die Treue zum Patriarchat auch vor den Gemeinden zu begründen. Der zweite Anlaß war, daß der Metropolit eine Einladung des Erzbischofs von Centerbery zur Beginn des Fastenzeit 1930 annahm. Er reiste nach London und an einem eintägigen Gebet für die leiden Kirche in UdSSR.Umgeheng erhilt er vom Metropoliten Sergij eine strenge Verwarnung und die Aufforderung, schriftlich zu erklären, mit welchem Recht England reiste und zum aufrufe. Die nun folgende führte am 11. Juli 1930 dazu, da&?szlig; Metropolit Sergij mit Order Nr. 1518 den Metropoliten seinem Vikarbischof Vladimir zu übergeben. Da letzterer jedoch nicht bereit war , die Aufgaben zu Metropolit Evlogij die gestellte erfüllen. Daraufhin erging an den Metropoliten ein Ultimatum aus Moskau mit folgenden drei verurteilen. 2. Er sollte schriftlich sich in keinerlei Weise mehr in politische fragen einzumischen.

Auf zwei Ebenen war Metropolit Evlogij bemüht, das drohende Unheil abzuwenden. Er erläuterte seinem Klerus und seinen Gemeinden die Entwicklung - und er fand vollkommene Unterstützung. Dem Metropoliten Sergij wurden in mehreren Schreiben die Wünsche und die Nöte der Eparchie dargelegt. Doch am Ende stand die Erneuerung des Interdiktes. Offiziell sollte die Leitung der Eparchie dem Metropoliten von Litauen Elevferij übergeben werden.

Nur wenige Kleriker der Eparchie wandten sich dem neuernannten Bischof zu. Zu diesen geh6rte auch der in Berlin amtierende Erzpriester Grigorij Prozorov. Entsprechend der allgemeinen Kirchenordnung hat jeder Bischof das Recht, sich an die Appellationsinstanz beim Ökumenischen Patriarchen zu wenden, falls die eigenen kirchlichen Instanzen keine gerechte Behandlung der anstehenden Fragen zu leisten verm6gen. So wurde in Übereinstimmung mit den Vikarbisch6fen beschlossen, daß Metropolit Evlogij sich unmittelbar an das Patriarchat von Konstantinopel wenden solle. Die Reise zum Patriarchen Photius II. veränderte die kirchenrechtliche Lage vollkommen. Der Bitte um Aufnahme wurde entsprochen. Der Patriarch Photius II. ernannte den Metropoliten Evlogij zum Exarchen des Ökumenischen Patriarchen unter Beibehaltung aller Privilegien der Russisch-Orthodoxen Kirche. So hatten der Metropolit und alle seine Kleriker und Gemeinden eine neue geistige Zuflucht gefunden. Noch während seines Aufenthaltes im Phanar wurde dem Metropoliten die offizielle Urkunde über die erwähnte Entscheidung überr?eicht.

Dem Ökumenischen Patriarchat unterstellt, bewahrte diese Gemeinschaft auch weiterhin die russische Autonomie. Immer wieder wurde auf den zeitweiligen Charakter dieser Lösung hingewiesen. Die Bischöfe in Karlovac hätten nach ihrer Trennung von Metropolit Evlogij zu diesen Ereignissen schweigen müssen, da sie keinen Anteil hatten an dem Geschehen. Doch sie begannen alsbald auch diese echt orthodox-kanonische Handlungsweise des Metropoliten Evlogij zu verunglimpfen. Für die in Deutschland lebenden orthodoxen Russen wurde die Lage hierdurch wesentlich erschwert.

Dennoch kam es im Jahre 1935 zu einer erneuten Begegnung der beiden Metropoliten Evlogij und Antonij. Im Sommer dieses Jahres erhielt Metropolit Evlogij vom Serbischen Patriarchen Varnava eine Einladung zu einem Treffen aller leitenden Hierarchen der russisch-orthodoxen Gemeinden und Eparchien im Ausland. Ziel dieses Treffens sollte die gemeinsame Beratung aller anstehenden Fragen sein. Patriarch Photius II. erteilte dem Metropoliten Evlogij den Segen zur Teilnahme. Die sich widersprechenden Positionen wurden jeweils vorgetragen und verteidigt, eine Annäherung erschien aussichtslos. Der kranke und greise Metropolit Antonij vermochte nicht mehr, aktiv an den Gesprächen teilzunehmen. Für den Metropoliten Evlogij war diese Zusammenkunft dennoch von großem Gewinn: er konnte in brüderlichem Zusammensein von seinem väterlichen Freund Abschied nehmen.

Auf dieser Versammlung wurde ein Zeitweiliges Reglement' verabschiedet, welches dem einen Ziel dienen sollte: der Aushöhlung jeglicher Selbständigkeit außerhalb der Jurisdiktion der "Russischen Auslandskirche". Diese aber erstrebte die unmittelbare Zentralisierung aller kirchlichen Macht. Durch eine Aburteilung des Erzpriesters Sergij Bulgakov, den man einen Ketzer nannte, sollte besonders der Exarch des Ökumenischen Patriarchats, Metropolit Evlogij, getroffe?n werden.

Nach diesem Treffen konzentrierte die Gruppe von Karlovac alle Kraft darauf, die dem Metropoliten Evlogij noch in Deutschland verbliebenen Gemeinden zu entfremden. Als Metropolit Antonij 1936 starb, wurde der ehemalige Erzbischof von Kishinev Anastasij, zu seinem Nachfolger bestimmt. Er trug fortan den in der Orthodoxie unbekannten Titel eines "Ersthierarchen". Auch unter seiner Leitung änderte sich an der Tendenz nichts. Um die letzten Gemeinden des Metropoliten Evlogij einzugemeinden, scheute sich der Bischof Tichon nicht, selbst die Hilfe der Deutschen Reichsregierung in Anspruch zu nehmen. Im Jahre 1937 erhielten die Gemeinden unter Bischof Tichon die Vorzüge einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Durch staatliche Verfügung verfiel aller Besitz der Kirchen dem Staate, welcher seinerseits den Besitzstand den Gemeinden unter Bischof Tichon zur Nutzung überließ. So gingen die Kirchen in Wiesbaden, Darmstadt, Bad Ems, Baden-Baden, Stuttgart und Leipzig verloren. Diejenigen Kleriker, die sich einer Zusammenarbeit mit den Vertretern der sog. Russischen Kirche im Ausland widersetzten w mußten mit schwersten Strafen durch staatliche Institutionen rechnen. So wurden aus diesem Anlaß der vom Ökumenischen Patriarchat anerkannte Erzbischof der Tschechoslowakei, Sabbatijew und auch der Metropolit von Kethura Meletios (Gallanopoulos) in das KZ Dachau eingewiesen. Die Lage in Deutschland wurde immer unkirchlicher. Im August 1938 fand erneut eine Zusammenkunft der Synodalen in Karlovac statt. W ieder erklärte die Versammlung, die einzige Vertretung der wahren Orthodoxie zu seinw und wieder wurden schwere vorwürfe gegen den Ökumenischen Patriarchen erhoben. Doch gleichzeitig setzten die Synodalen den Bischof Tichon ab und wiesen ihm ein Kloster zu. in welchem er bis zum Kriegsende 1945 blieb. Auf der Flucht starb dieser Bischof Sein Nachfolger wurde Bischof Serafim (Lade) , dessen Heimat Sachsen war. Zuerst trug er den T?itel eines Bischofs von Potsdam. Zum Metropoliten erhoben, schuf er 1942 die Metropolie von Mitteleuropa.

Die neue hierarchische Leitung durch die Bischöfe Anastasij und Serafim blieb der Kirchenpolitik der jeweiligen Vorgänger treu. Priester wurden in das Ministerium für Kultfragen gerufen und dort - oft unter massiver Bedrohung - aufgefordert, sich der sog. Jurisdiktion der Auslandskirche zu unterstellen. Es gab sogar Fälle, da sich deutsche Behörden unmittelbar an Metropolit Evlogij mit der Aufforderung wandten, seine Gemeinden in Deutschland der oben genannten Gruppierung zu übergeben. Wo dieses keine Erfolge zeitigte, griff man zu anderen Methoden. Durch Fortnahme und vorzeitige Auflösung des Vertrages mit der Bruderschaft des hl. Vladimir wurde der Gemeinde zu Tegel die Existenzgrundlage entzogen. Die Gläubigen dieser Gemeinde mußten sich der St.-Vladimir-Gemeinde in der Nachodstraße anschließen. Letztlich verblieben in Deutschland der Jurisdiktion des Exarchen Evlogij bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges nur drei Gemeinden: In Berlin die St.-Vladimir-Gemeinde sowie die beiden Gemeinden in Dresden und in Ostpreußen.

Alle anderen russisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschland unterstanden gegen Ende dieses Entwicklungszeitraumes der sog. Auslandskirche. Die "Oberste Kirchenleitung" derselben hatte sich, wieder gegen alle kirchenrechtlichen Normen verstoßend, einen Monat nach der im August 1943 erfolgten Wahl des bisherigen locum tenens in Moskau, des Metropoliten Sergij, zum neuen Patriarchen von Moskau und ganz Rußland in Wien gegen die Patriarchenwahl ausgesprochen und die Rechtmäßigkeit derselben verworfen.

Nach einer ersten kurzfristigen Verlegung der Obersten Kirchenleitung der Russischen Kirche im Ausland nach Belgrad veranlaßte Metropolit Anastasij 1944 die Umsiedlung derselben nach München. Erneut setzte er sich mit seinen Vikarbisch&?ouml;fen über bestehendes Recht hin weg. Für Deutschland galt die Zuständigkeit des Ökumenischen Patriarchats. Doch die "Karlovacer" mißachteten diese kirchliche Regelung, wie sie es schon in Konstantinopel und in Serbien getan hatten. Nicht lange sollte dieser neue Zufluchtsort sicher bleiben. Ein Vierteljahrhundert war vergangen. Seit Erzpiester Aleksij Malcev Deutschland verlassen hatte. Die segensreiche Aufbauarbeit war nicht fortgesetzt worden. Irrungen und Emigrationsschwierigkeiten waren zu den bestimmenden Faktoren geworden. Dennoch gelang es an vielen Orten den Gemeinden, deren Mitgliederzahl durch den Zuzug vieler tausend Emigranten enorm gewachsen war, ungeachtet der hierarchischen Fragestellungen, das liturgische Leben in der Tradition ihrer Heimat fortzusetzen.

Für den Zeitraum zwischen 1914 und 1945 ist es nicht sinnvoll, die Namen aller in Berlin und Deutschland tätig gewesenen Priester anzuführen, denn die große Zahl trüge nicht zu einer übersichtlichen Darstellung bei. Stellvertretend für die vielen Kleriker sollen hier nur die Namen zweier Priester genannt werden, deren Tätigkeit von 1934 bzw. von 1936 an bis auf den heutigen Tag das geistliche Leben mit gestaltet haben. 1934 kam der Priester Sergij Poloshensky dem zwei Jahre darauf der Priester Michail Radziuk folgte, nach Berlin. Beide haben ihre theologischen Studien am erwähnten Pariser Theologischen Institut abgeschlossen. Mit Vater Ioann (Sachovskoj) waren sie es, die der Jurisdiktion des Exarchen Evlogij die Treue bewahrten. Beide hatten ihre Priesterweihe im Anschluß an das Theologiestudium in Paris erhalten, ehe sie von dort aus nach Deutschland geschickt wurden. So konnte auch in Berlin das vom Pariser Theologischen Institut auf höchster Stufe bewahrte Traditionsbewußtsein russischer Theologie und russischer Frömmigkeit weitergelebt werden.

Nicht unerwähnt darf die enorme Leistung bleiben, d?ie viele Chorleiter, Sänger und Sängerinnen erbrachten. Noch heute zeugen umfangreiche Sammlungen der russischen liturgischen Chorkultur von deren Leben zum gelebten Gebet. Wenn es in dieser Zeit eine Weiterentwicklung für die russisch-orthodoxen Gemeinden in Berlin und in Deutschland gegeben hat, so war es die Entfaltung des ungeheuren Reichtums und der Pracht des orthodoxen Liturgischen Lebens selbst.

Als sich der 2. Weltkrieg dem Ende näherte, flohen wieder mit vielen Gläubigen auch Priester und Bischöfe. Die oben genannten Priester aber blieben als Hirten ihrer Gemeinde in der Stadt und trugen so wesentlich für das Weiterbestehen der Russisch-Orthodoxen Kirche in Berlin bei.

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