Stimme der
Orthodoxie

Internetversion der Zeitschrift "Stimme der Orthodoxie" der Russischen Orthodoxen Diözese Deutschlands des Moskauer Patriarchats

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Patriarch Aleksij II. von Moskau und ganz Rußland

Botschaft an das deutsche Volk,

 

Patriarch Alexij kam nach Deutschland in eine Pastoralvisite als Vater und Hirte zu den russischen Christen in Deutschland; er kam auch als Botschafter des Friedens zum Deutschen Volk; er kam als Bruder in der Liebe Christi zu den Kirchen Deutschlands, Mit denen die Russische Kirche eine jahrzehntelange Beziehung verbindet. Besondere Beachtung fand das am 20. November 1995 im Berliner evangelischen Dom gesprochene Wort des hochheiligen Patriarchen an das deutsche Volk:

Im Herrn geliebte Brüder und Schwestern,

"Gnade Euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus" (1 Kor. 1, 3). Wir haben uns jetzt hier in dieser herrlichen Kirche versammelt, um mit einem Mund und einem Herzen den allverehrten und erhabenen Namen unseres Herrn Jesus Christus zu verherrlichen, der von uns erwartet, daß wir wahrlich auf seine Stimme hören, wenn er von der einen Herde und dem einen Hirten spricht (Joh. 10, 11-16).

Herzlich grüße ich Sie und alle, die uns hören können. Ich bin in Euer Land gekommen auf Einladung der Römisch-Katholischen und der Evangelischen Kirche in Deutschland wie auch der Berliner Diözese des Moskauer Patriarchats. Mein Besuch in Deutschland ist der erste, den ein Vorsteher der Russischen Orthodoxen Kirche in diesem Land macht; er ist eine Folge der intensiven Entwicklung brüderlicher Beziehungen zwischen den Kirchen Deutschlands und der Russischen Orthodoxen Kirche.

Nach dem Willen Gottes war es unseren Völkern und Staaten beschieden, in einer engen Nachbarschaft und Wechselbeziehung miteinander zu leben. Im Verlaufe der Jahrhunderte haben sich sowohl bei Euch wie bei uns die staatlichen Strukturen verändert. In unserer Geschichte wechselten sich Epochen des gegenseitigen Verstehens mit solchen der Gegnerschaft, Zeiten der Zusammenarbeit mit jenen der Feindschaft, Perioden des Friedens und des Krieges ab, aber eins ist stets unverändert geblieben: Die Beziehungen unserer Länder haben in vieler Hinsicht das Schicksal Europas und der Welt bestimmt.

Was hier im Hinblick auf die Vergangenheit gesagt worden ist, bezieht sich auch auf die religiösen und zwischenkirchlichen Kontakte, die ihren Anfang schon im 11. Jahrhundert genommen haben, in der Zeit des Lebens der seligen Ädigna, der Enkelin des Großfürsten Jaroslav des Weisen von Kiew, einer Frau, zu der sich sowohl katholische wie orthodoxe Gläubige im Gebet wenden. Das 19. Jahrhundert, im dem die ökumenische Bewegung in ihrer gegenwärtigen Gestalt entstand, ließ neue Verbindungen zwischen den Kirchen Deutschlands und Rußlands entstehen. Es ist zu bedauern, daß diese Verbindungen schwächer wurden, als für unsere Kirche im Jahre 1917 eine tragische Zeit anbrach: Mit dem Blut der Märtyrer und dem Leiden der Bekenner hat sie bis zum Anfang der 40er Jahre für die Treue zu ihrer Sendung bezahlt.

Das 20. Jahrhundert unterscheidet sich zu unserem Leidwesen im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland von allen vorhergehenden, denn im Verlauf seiner ersten Hälfte standen unsere beiden Völker zweimal in einem Zwischenraum von nur 24 Jahren einander auf dem Schlachtfeld gegen über. Wenn wir dieser tragischen Ereignissen, besonders des letzten, des blutigsten der Kriege gedenken, dann wollen wir in unseren Gebeten der zahlreichen Brüder und Schwestern gedenken, die mutig und kompromißlos Widerstand gegenüber der heidnischen, rassistischen Ideologie des Nazismus geleistet haben, wie es die Teilnehmer der Bewegung der Bekennenden Kirche taten und ebenso Kleriker und Laien der Römisch-Katholischen Kirche in Deutschland. Wir bewahren ein ehrendes Gedenken an viele Eurer Landsleute, die durch ihr Blut und ihre Leiden als Märtyrer und Bekenner ihre Treue zum Herrn und Erlöser besiegelt haben.

Wir erinnern uns daran, daß im Oktober 1945 von bedeutenden religiösen Persönlichkeiten Deutschlands die Stuttgarter Erklärung angenommen worden ist, welche eine Anerkennung der Schuld und der Verantwortung des deutschen Volkes und seiner geistlichen Führer für den 2. Weltkrieg beinhaltete.

Auch dürfen wir nicht mit Schweigen übergehen, daß jenes totalitäre Regime, welches nach dem Fall des Nazismus in Ostdeutschland aufgerichtet worden ist und vielen Deutschen Leid gebracht hat, in dieses Land gerade aus unserem Land gekommen ist, und daß viele meiner Landsleute es durch ungerechte Taten gestützt haben. Dafür erbitte ich heute von Euch Vergebung im Namen meiner viele Millionen und viele Nationen umfassenden Schar der Gläubigen.

Es ist sehr erfreulich, daß im Verlaufe der letzten 50 Jahre die Kirchen unserer Länder die Verpflichtung auf sich genommen haben, der Versöhnung zu dienen (2 Kor. 5, 18-20). Unsere brüderlichen Beziehungen beinhalten vielfältige Aspekte, so z.B. die Buße deutscher Christen gegenüber den russischen Gläubigen, die Unterstützung der Christen Deutschlands für die Russische Kirche in den 50er und 60er Jahren, den Jahren der Verfolgung unter Chruschtschow, oder unsere Kooperation für das religiösen Leben der Sowjet-deutschen, und ebenso, dies möchte ich besonders hervorheben, unser theologischer Dialog mit der Römisch-Katholischen und mit der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Heute darf das Leben des Moskauer Patriarchats auf seinem kanonischen Territorium, d.h. in Rußland und anderen Staaten der GUS und des Baltikum, in tätiger Weise eine neue Blüte erleben: Tausende von Kirchen und Hunderte von Klöstern wurden geöffnet; von neuem mit Leben erfüllt worden ist die Tätigkeit der Kirche in den Bereichen der Bildung, der Wohltätigkeit, der sozialen, missionarischen und publizistischen Arbeit - mit einem Wort, all das, was von den früheren Machthabern verboten oder eingeschränkt war. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um den deutschen Brüdern und Schwestern für die Hilfe zu danken, die sie uns bei dem nicht leichten Werk der Wiedergeburt erweisen haben.

 

Unsere Kirche nimmt Teil an gesellschaftlichen Prozessen, und in erster Linie an der Arbeit für den Frieden, was sich besonders deutlich zeigte in den Tagen der politischen Krisen in Rußland, aber derzeit genauso im Zusammenhang mit den Tragödien in Tschetschenien und Bosnien. Besonders beunruhigt uns der zerspaltene Zustand des russischen Volkes, welcher Europa mit großen Nöten droht und von daher einer friedlichen Überwindung bedarf. Ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Aufgabe der Russischen Kirche besteht in meiner Sicht darin mitzuhelfen, daß die Beziehungen zwischen den Völkern Deutschlands und den Ländern, in denen der wesentliche Teil meine Herde lebt, gekennzeichnet sind von Frieden, Partnerschaft und gegenseitiger Hilfe. Gebe Gott, daß niemals mehr zwischen uns eine verderbliche Feindschaf aufkomme, daß unsere Länder gemeinsam als Garanten der Harmonie und einer gerechten Weltordnung dienen mögen.

 

Geliebte Brüder und Schwestern!

 

Ein großes Ereignis in unserem Leben kommt näher - das 2000. Jahr seit der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus in der Welt Alle Christen bereiten sich auf die Feier dieses heilbringenden Ereignisses vor. Was aber müssen wir tun, damit wir in der Heiligen Nacht des 2. Milleniums Würdig den Lobpreis der Engel anstimmen können: "Ehre sei Gott in den Höhen und auf Erden Frieden und den Menschen ein Wohlgefallen" (Lk. 2, 14)? Welches gebührende Geschenk sollen wir Christus an die Krippe von Bethlehem bringen? Ein solches Geschenk müssen die Anstrengungen unserer Kirchen sein, die Glaubenseinheit der jetzt noch gespaltenen Christenheit herbeizuführen - in Erfüllung des Gebotes des Herrn (Joh. 17,21). Ein solches Geschenk muß die eifrige Fortsetzung unserer brüderlichen Zusammenarbeit sein; ein solches Geschenk muß unser Bemühen darum sein, daß wir Feindschaft und Haß in der Welt überwinden, es muß unsere Sorge für die Leidenden, die Unterdrückten und Gedemütigten sein. Dieses Geschenk vermag alles zu sein, was wir zum Wohle der uns Fernen und Nahen tun können (Eph 2, 17). Jetzt, da ich mich hier auf deutschem Boden befinde, möchte ich meinen aufrichtigen und herzlichen Wunsch bekunden, daß am Vorabend des neuen Jahrhunderts unsere Völker für immer die dramatische Seite in ihren Beziehungen umblättern, von der das vergangene Jahrhundert gekennzeichnet war. Laßt uns nach der Zukunft streben, laßt uns aus der Vergangenheit nur das Beste behalten - nämlich unsere geistliche, ökonomische und politische Zusammenarbeit, die Erfahrung der gemeinsamen Mühen auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Kultur, des Heeresdienstes und bei der Überwindung der Kriminalität. Geliebte, ich bete für Euch, für Euer frommes und arbeitsliebendes Volk, für Eure wunderschöne Heimat! Und ich erbitte Eure Gebete für uns, Eure Brüder und Schwestern. Es segne der allbarmherzige Herr Eure guten Vorhaben und guten Werke. "Gnade mit allen, die unbeirrt und unwandelbar lieben unseren Herrn Jesus Christus. Amen." (Eph 6, 24).

(© Stimme der Orthodoxie, 4/1995; Übersetzung - Nikolaus Thon)

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